„Wir waren in einer verzweifelten Lage. Wo können wir überleben? Offensichtlich gab es nirgendwo auf der Welt einen Platz für uns.“ Esther Stermer, We Fight to Survive (Memoiren Esther Stermer, 1960)
Inhalt
NO PLACE ON EARTH – KEIN PLATZ ZUM LEBEN
Wenn die Zivilisation versagt, muss man im Dunkeln leben lernen: Die Dokumentation NO PLACE ON EARTH – KEIN PLATZ ZUM LEBEN ist eine berührende und auf tatsächlichen Ereignissen basierende Geschichte. Filmisch umgesetzt wurde sie von der US-amerikanischen Emmy-preisgekrönten Regisseurin Janet Tobias (LIFE 360).
Die Verteba- Höhle
In der Nähe des Ortes Bilche Zolote in der Westukraine gelegen, ist die Verteba- Höle mit einer Länge von 7,8 Kilometern und einem Fassungsvermögen von 6000 m³ ist Verteba eine der Größten Europas. Labyrinthähnliche Durchgänge, schmale Wände, weite Galerien und eine schlechte Belüftung charakterisieren diese Höhle. Eine Frischwasserversorgung besteht hier nicht.
Nur wenige Kilometer von der Verteba- Höhle entfernt befindet sich die Priestergrotte, in der Nähe des Dorfes Strilkivtsi.
Die Grotte ist Teil eines riesigen Gipshöhlensystems und wird aufgrund ihres unterirdischen Sees auch „Ozerna“ genannt. Als eine der längsten Höhlen der Welt mit einer Länge von über 123 Kilometern besitzt die Priestergrotte eine gute Luftzirkulierung und damit bessere Voraussetzungen für kleine Feuerstellen.
Und jede Höhle hat ein Geheimnis: Doch was Höhlenforscher Christopher Nicola 1993 auf seiner Expedition in dieses weitverzweigte Höhlensystem der Ukraine entdeckt, ist ein gleichermaßen unglaubliches wie erschütterndes Zeitdokument…
NO PLACE ON EARTH
Tief unter der Erde und fern vom Nachwende-Taumel in dem 1993 ganz Europa versunken war, stößt der Höhlenforscher Christopher Nicola auf Spuren und Objekte, die einmal ein Leben waren. Stück für Stück setzt er ihre ungeheuerliche Geschichte zusammen – es ist die Geschichte von Esther Stermer und ihrer jüdischen Familie.
In die Enge getrieben vom heraufziehenden Faschismus verkauft Esther Stermer 1939 Haus und Hof. Aber kurz bevor die Flucht ins rettende Ausland gelingt, bricht der Krieg aus und lässt die Stermers ausweglos zurück. So treffen sie eine einsame Entscheidung: Im Oktober 1942 führt Esther ihren Ehemann, ihre Töchter, Söhne und Enkelkinder unter die Erde.
NO PLACE ON EARTH, die Hölle auf Erden
Zu Beginn sind die Lebensumstände noch annehmbar, da sie vorher Proviant, Holz, Öl, Kerzen, Lampen, Kerosin, Geschirr und sogar Bettzeug sowie Decken in die Höhle gebracht haben: Die Familie richtet sich trotz meist völliger Dunkelheit, die begleitet ist vom stetig von den Felsen tropfenden Wasser, so gut es geht ein – mit der Annahme, dass man sich nur zwei Monate verstecken braucht, um dann wieder ins Dorf zurückkehren zu können.
Im April 1943 wird die Gruppe von der Gestapo aufgespürt. Die meisten können jedoch über einen geheimen zuvor selbst angelegten Fluchtweg entkommen. Wem die Fluch nicht gelingt wird von der Gestapo an die ukrainische Polizei überstellt, mit der ausdrücklichen Anweisung, alle zu erschießen.
Verzweifelt versuchen die Männer der Stermer-Familie mit der ukrainischen Polizei auszuhandeln, um welchen Preis man ihre Angehörigen verschonen würde: Die Polizei verlangt Gold, benötigt allerdings auch Tote, die man den Deutschen vorzeigen kann – als Beweis…
Selbst diese Forderungen gelingt es zu erfüllen – doch es genügt nicht: Entgegen der Abmachung schießen die Polizisten erst ein paar Mal in die Luft, um einigen die Flucht zu ermöglichen, ermorden aber aus Angst verraten zu werden zwei Familienangehörige…
Nach diesem schrecklichen Ereignis sucht die Stermers verzweifelt nach einem neuen Versteck. Sie entdecken die „Priestergrotte“. Die neue Höhle verfügt zwar über eine unterirische Quelle mit klarem, sauberem Wasser, aber es fehlt an jeglichem „Komfort“. Aufgrund der überstürzten Flucht aus der ersten Höhle mussten sie alles zurücklassen und besitzen nun nichts mehr. So werden die Insassen täglich von Hunger geplagt und vor allem im Winter ist es unmenschlich kalt.
In der Höhle hört man zu dem immer wieder Kriegslärm wie Schüsse und Kanonendonner, aber niemand weiß, ob es von den Russen oder den Deutschen herrührt…! Doch der Überlebenswille der insgesamt 38 Höhlenbewohner ist übermenschenschlich und niemand gibt auf…
So verbringen sie anderthalb Jahre (!) in der Finsternis am Ende der Welt – es ist der bisher längste Aufenthalt unter der Erde in der Geschichte der Menschheit!
NO PLACE ON EARTH, Bilder
NO PLACE ON EARTH, Filminhalt
Die ununterbrochene Dunkelheit hat die Überlebenden der Familie Stermer bis zum Ende ihres Lebens begleitet (siehe auch der Artikel zu Agnieszka Hollands Drama IN DARKNESS).
In ihrem Zeitdokument spürt Janet Tobias dem Schrecken nach, aber auch dem Trost. Ihr gelingt dabei nicht nur die spannungsvolle und berührende Geschichte einer wahnsinnigen Flucht, sondern ebenfalls das Porträt einer faszinierenden Frau mit einem unverrückbaren Lebenswillen.
Im Spiel mit Licht und Schatten, in Interviews und in Spielfilm-Sequenzen findet die Dokumentation NO PLACE ON EARTH unvergessliche Bilder für das Unvorstellbare aus unserer jüngsten Vergangenheit.
Maßgeblichen Anteil an der bedrückenden wie gelungenen Darstellung dieser unglaublichen Geschichte haben der Oscar-nominierte Kameramann César Charlone (CITY OF GOD, DER EWIGE GÄRTNER) und Lola-Preisträger und Cutter Alexander Berner (DER BAADER MEINHOF KOMPLEX).
Sie schaffen es buchstäblich die Wahrheit in den Steinkristallen der Höhlenwände aufblitzen zu lassen…
Studio / Verleih / Bild- und Textnachweis: PPM Film Productions, Senator, magnolia pictures NO PLACE ON EARTH,
Was für ein unglaublicher, beeindruckender Film über eine Geschichte, die es so nicht hätte geben dürfen und nie wieder geben darf. Vielleicht können wir diesmal besser darauf achten, dass es nicht wieder so wweit kommt?