BOXHAGENER PLATZ

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„Viele Leute, die nicht in der Deutschen Demokratischen Republik geboren bzw. gelebt haben, denken: „Die DDR war Stasi, Stasi und Stasi.“

Inhalt

BOXHAGENER PLATZ

Diese Aussage ist für den 1942 in Ostberlin geborenen Schauspieler und Regisseur Michael Gwisdek ausgemachter Quatsch.

Aus seiner Sicht war die DDR ein Experiment für eine bessere Gesellschaft, welches am Ende zwar scheiterte aber dennoch muss es möglich sein, dabei auch positiv über die eigene Vergangenheit zu reden! „…lieben habe ich auf dem „Boxenhagener Platz“ gelernt und dort war keine Stasi dabei“, so der Schauspieler, der bereits in diversen Indianerfilmen der DEFA (SPUR DES FALKEN, WEISSE WÖLFE) in den 70′ und 80′ Jahren mitgespielt hat. (dpa)

BOXHAGENER PLATZ ein Ort der Zeitgeschichte

Ist der Film BOXHAGENER PLATZ also eine weitere, experimentelle Ostalgie-Schmonzette – like SONNENALLEE and NVA? Oder ein intensives Geschichtsbild aus der Zeit als im Westen die 68er-Revolution wütete und hinter dem Eisernen Vorhang in Prag die Panzer rollten!

Denn bei der gern im Kino publizierter Ostalgie sollte nie vergessen werden, dass insbesondere die Stasi mit ihren Spitzeln viele ostdeutsche Lebensgeschichten nachhaltig beeinflusst hat.

So mussten sich die Opfer nach dem Öffnen ihrer Akten nicht selten und bestürzt fragen, ob denn der Kollege ein Kollege, der Freund ein Freund und der Liebende ein Liebender war…oder ob sie nicht alle in Wahrheit – Feinde gewesen sind! Selbst nur der gedankliche Ansatz die Stasimachenschaften in gewisser Weise „positiv“ oder gar „lustig“ und als nicht immer präsent anzusehen, empfände ich, selbst im 20. Jahr nach der friedlichen Revolution, als unangebracht, respektlos und nicht der geschichtlichen Dimension angemessen!

BOXHAGENER PLATZ im Kino

1995 wurde der Roman BOXHAGENER PLATZ, des Autors Torsten Schulz, veröffentlicht und inzwischen ist bereits die sechste Auflagen erschienen.

Nun folgt dem Buch der Film. Laut Michael Gwisdek (GOOD BEY LENIN, BACHMEIER-KEINE ZEIT FÜR TRÄNEN) ist der Film noch authentischer und vielschichtiger als es bereits das anspruchsvolle Drama DAS LEBEN DER ANDEREN war,  indem sehr eindringlich die Verlorenheit des Individuums in einem totalitären System beschrieben wird. 2007 bekam der Regisseur Florian Henckel von Donnersmark dafür den Oskar als „bester nicht englischsprachiger Film“.

Es war zudem die letzte Rolle des unvergessenen und an Krebs verstorbenen Ullrich Mühe (MEIN FÜHRER – DIE WIRKLICH WAHRSTE WAHRHEIT ÜBER DEN FÜHRER).

Torsten Schulz, der auch das Drehbuch schrieb, kennt den im Roman beschriebenen Kiez in Berlin-Friedrichshain indes ganz genau. Schließlich verbrachte er einen Großteil seiner Kindheit am „Boxhagener Platz“.

Gefilmt werden konnte an dieser Stelle allerdings nicht mehr, denn die fiktionale Familiengeschichte ist in den 60`Jahren angesiedelt. Seit der Wende hat sich das einstige, graue DDR-Arbeiterviertel zu stark verändert und für den jungen Regisseur Matti Geschonneck (Sohn des DDR-Schauspielers Erwin Geschonneck) stellt der „Boxhagener Platz“ zudem eher ein Synonym für jene Zeit dar als ein realer Ort.

Deshalb wurde das Filmgeschehen nach Potsdam-Babelsberg verlegt, in die nur leicht umgebaute Kulisse der „ober-ostalgischen“ Komödie SONNENALLEE. Die Hauptrollen wurden mit dem 14 Jahre alte Samuel Schneider besetzt, der hierin sein Kinodebüt gibt.

BOXHAGENER PLATZ, Filmkritik

Bereits das Buch „Boxhagener Platz“ amüsiert nicht nur durch die darin agierenden und komischen Charaktere oder die sprichwörtliche „Berliner Schnauze“, es karikiert zudem auch jedes nur denkbare DDR-Klischee.

Wie und ob sich das filmisch umsetzen lies, war im Vorfeld die große Frage. Im Nachhinein kann diese Frage absolut positiv beantwortet werden: So liefert Gudrun Ritter in der Rolle der männerverschleißenden Oma zum Beispiel eine schauspielerische Meisterleistung ab.

Ihre äußerst pragmatische Art und Weise des Umgangs mit dem Leben und dem Tod, lässt beim Zuschauer viel Verständnis und Humor aufkommen: Ottis herbe Herzlichkeit hält die Familie zusammen und ihr starker Überlebenswillen trotzt einfach jeder Gesellschaftsordnung.

Michael Gwisdek spiegelt in seiner Rolle als Karl Wegner die ganze Tragödie der DDR und passt in den Film so zusagen – wie die Faust auf’s Auge. Er zeigt mit gekonnter Verschmitztheit und aufrichtiger Menschenwärme die Zerrissenheit des einst gläubigen Kommunisten, der an der Verlogenheit des Systems zerbricht.

Samuel Schneider, in der komplizierten Rolle des Holger, spielt konsequent und glaubhaft einen Jungen, der sich im ständigen Spannungsfeld seiner Eltern bewegen muß. Nur bei seiner Oma Otti hat er ein wirkliches zu Hause und findet nebenher bei Karl einen väterlichen Freund, der es auch versteht, ihm die politischen Zusammenhänge in Ost und West altersgerecht und anschaulich zu erklären.

Fazit: BOXHAGENER PLATZ kann durchaus als Komödie gelten, beinhaltet nebenher aber ebensoviele nachdenkliche Elemente und Zweideutigkeiten, die weit entfernt von rührseliger DDR-Mentalität sind.

Auch das Thema Staatssicherheit wird mit viel Fingerspitzengefühl und ohne vordergründige Plattheiten angegangen. Resultierend aus der absoluten Detailverliebheit für die Filmkulisse (vom täglichen Speisplan bis zu den fürchterlichen Tapetenmustern an den Wänden) und der im Vorfeld stattgefundenen interessanten, geschichtlichen Recherche (in welchen Zusamenhang werden Joseph Goebbels und Walter Ulbricht gebracht), ist ein absolut sehenswerter Film entstanden, der wohl besonders die 60iger Jahrgänge interessieren dürfte!

BOXHAGENER PLATZ, Filminhalt

Ostberlin 1968: Familie Jürgens ist alles andere als durchschnittlich und normal. Oma Otti Jürgens (Gudrun Ritter, u.a. DIE WEIHNACHTSWETTE, TV-TATORT), eine rüstige Rentnerin, hat sich die Grabpflege ihrer bereits fünf überlebten Ehemänner zum Hobby gemacht und dem Sechsten geht es auch nicht mehr so gut…!

Sie bedauert zwar, „dass de Männer aber ooch immer so schnell schlapp machen“, aber das findet sie immer noch besser, als wenn sie selbst „abnibbeln“ würde. Lieber auf dem Friedhof Blumen gießen, als selbst begossen werden – scheint das Motto der rüstigen Alten zu sein.

Ihr Sohn Klaus-Dieter (Jürgen Vogel, u.a. SCHWERKRAFT) ist der ABV (Abschnittsbevollmächtigte) für den Stadtbezirk Friedrichshain und der nimmt seinen Dienst sehr ernst…! Dessen Frau Renate (Meret Becker, u.a. DAS LEBEN IST ZU LANG) ist nicht nur von seiner armseligen Tätigkeit als Polizist frustriert, sondern insgesamt mit der Lebenssituation und den politischen Verhältnissen der noch jungen DDR unzufrieden.

Sie würde am liebsten in den Westen abhauen, kommt aber immer nur bis zum Café „NORD“ oder zur Stammkneipe „RENI“!

Ihr Sohn Holger (Samuel Schneider) steckt irgendwo zwischen Kindheit und Pubertät und verbringt den größten Teil seiner Freizeit bei Oma Otti, die ihn auf den täglichen Friedhofsgängen mitnimmt und dort erklärt bekommt, wie das so im Allgemeinen zwischen Mann und Frau abläuft. Diesbezüglich Erfahrung hat die pfiffige Rentnerin  ja genug…

Oma Otti, eigentlich Ottilie hat -wie gesagt- bereits fünf Ehemänner ins Grab gebracht und weil Ehemann Rudi (Hermann Beyer, u.a. NOVEMBERKIND) zwar noch nicht tot, jedoch auch nicht mehr so richtig lebendig ist, schaut sich Otti -sehr zum Ärgernis von Nummer Sechs- schon einmal nach jemand Neuem um.

Als sie daraufhin Avancen von Altnazi Fisch-Winkler (Horst Krause, u.a. SCHULZE GETS THE BLUES), dem hässlichen Karpfenkopp bekommt, der sie mit Gratis-Fisch gewinnen will, taucht plötzlich der ehemaligen Spartakuskämpfer Karl Wegner (Michael Gwisdek) auf. Nach einem skurrillen aber irgendwie passenden Geschenk von ihm, der Gedichtband über ein scheintodes Mädchen, fällt die Entscheidung Otti nicht schwer und bald darauf fügt sich eins zum Anderen.

Doch eines Morgens wird der alltägliche Wahnsinn rund um den „Boxhagener Platz“ gestört. Ein Mord ist geschehen. Ein Unbekannter hat Fisch-Winkler in seinem Laden mit einer Bierflasche erschlagen. Die Stunde des ABV ist gekommen. Klaus-Dieter greift mit seinen wüsten Theorien eigenmächtig in die Ermittlungen der Kripo ein und vorerst scheint ihm jeder verdächtig…

Nachdem sich auch die Statssicherheit, die einen Komplott im Zusamenhang mit den Studentenunruhen in Westberlin vermutet, für den Fall zu interessieren beginnt, wird es auch für den mysteriös in Erscheinung tretenden Spartakuskämpfer Karl Wegner zunehmend brenzliger…


Studio / Verleih / Bild-und Textnachweis: Pandora Film, Ullstein Hc-Verlag

BOXHAGENER PLATZ , 7.4 out of 10 based on 7 ratings

4 Kommentare zu BOXHAGENER PLATZ

  1. Scheint ein guter Film zu sein, den werde ich mir bestimmt anschauen. Im Übrigen, toller Filmblog – weiter so ;)!

  2. Gut zu Wissen. Kommt hier noch ein weiterer Beitrag? Würde sehr gern mehr darüber erfahren. Kannst du mir per Mail eine Antwort geben?

  3. Wie seinerzeit Leander Hausmann in SONNENALLEE gelingt es Geschonnek in BOXHAGENER PLATZ ein Lebensgefühl erfahrbar zu machen, und ganz nebenbei zerschellen ganze politische Systeme auf diesen wenigen Quadratmetern DDR.

  4. Ein einfacher Film mit den üblichen Klischees der DDR. Trotzdem oder vielleicht sogar gerade wegen dieser Tatsache, ist es ein sehr sympathische Abendunterhaltung mit gutem Witz und Humor. Wer einfache Kost a la Sonnenallee mag, für dem ist dieser Film das Richtige.

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