Regisseur Oskar Roehler’s Versuch, die Entstehung und Wirkung des Nazi-Propagandafilms JUD SÜSS zu beleuchten.
Inhalt
JUD SÜSS – FILM OHNE GEWISSEN
Bezug nehmend auf die bereits geschriebene Kritik zu Bernd Eichingers DER BAADER MEINHOF KOMPLEX oder Michael Simon Normier’s aktuellem Projekt EVA BAUN, stellt sich erneut die Frage: „Braucht“ das Kino eine Film-Fiktion über die absolut perfideste Zeit der deutschen Geschichte und im Speziellen, über ein demagogisches Werk, dessen Unterhaltungswert zudem weder moralisch und erst recht menschlich gesehen – keine Grenzen kannte?
Die Rede ist vom „Remake“ JUD SÜSS. Bereits auf der 2010er Berlinale gelaufen, wurde JUD SÜSS – FILM OHNE GEWISSEN gleichermaßen vom Feuilleton sowie dem Premierenpublikum mit schallenden Buhrufen bzw. demonstrativen Verlassen des Kinosaals bedacht.
„So war’s ja nicht in Wirklichkeit!“ – monierte die brüskierte Presse. Ungeachtet dessen und verzerrten Fakten, kam der Film natürlich auch in die Filmtheater und ich war wirklich gespannt, wie das geneigte, breite Kinopublikum darauf reagieren würde…
JUD SÜSS (Film ohne Gewissen?)
In der Tat: Solch‘ heftige Reaktionen wie Oskar Roehler’s (u.a. ELEMENTARTEILCHEN, DIE UNBERÜHRBARE) Festivalbeitrag erlebte die Berlinale selten. Dazu trug sicher bei, dass der österreichische Regisseur immer wieder betonte, dass er mit JUD SÜSS – FILM OHNE GEWISSEN nur eine „Fiktion“ aufzeigen wollte, die in erster Linie „Unterhaltungswert“ haben soll…
Wie Bitte? Ich frage mich, wozu muss der verhetzende Orginalfilm cineastisch verwässert und weichgespült, a la mit dem „Erklärbär“ aus der „Scetchshow“ von SAT1 versehen, erneut in die Kinos kommen? Und zu allem Unverständnis: Weshalb vermischt Roehler seine Szenen mit denen aus dem Original JUD SÜSS? Original sollte -und ganz besonders in diesem Fall- Original bleiben! bzw. sollte man (Regisseur) tunlichst die Finger davon lassen!
Beispiel: Ist es notwendig eine dramaturgisch eher unsinnige, jedoch auf jeden Fall populistisch-diskussionswürdige Szene dem Zuschauer zu zeigen, wie jene, in der Tobias Moretti am Fenster und vor der Kulisse des brennenden Berlin Gudrun Landgrebe vögelt, während sie ihn den Text aus der Folter- und Vergewaltigungsszene von JUD SÜSS zitieren lässt…? Also Unterhaltungs-Fiktion um jeden Preis? Ich denke, wer das Original gesehen hat – wird meine Bedenken verstehen!
JUD SÜSS
Stimmt: Der Erfolg des wahrhaft antisemitischen, demagogischen Meisterwerks JUD SÜSS, des Regisseurs Veit Harlan aus dem Jahr 1940, dass von den Nationalsozialisten in Auftrag gegebenen wurde und als Propagandafilm barbarische Geschichte machte, war gigantisch: Mehr als 20 Millionen Zuschauer sahen den Film und die ideologische Botschaft bahnte sich ihren schrecklichen Weg in die Köpfe der Menschen – jedoch ganz besonders in die der Kinozuschauer. In manchen Städten kam es bereits kurz nach den Vorstellungen zu anti-jüdischen Ausschreitungen.
JUD SÜSS – FILM OHNE GEWISSEN, Besetzung
Das Drehbuch stammt von Klaus Richter und basiert auf dem Buch „Ich war Jud Süß“ ´des Schriftstellers Friedrich Knilli. Jener allerdings hat bereits lange vor der Premiere versucht, sich dem berechtigten Vorwurf der Geschichtsfälschung und der Legendenbildung zu entziehen.
Außer dieser Tatsache fand ich es zudem schon fast ärgerlich, dass eine wirklich hervorragend besetzte Schaupielriege -allen voran der von mir sehr geschätzte Moritz Bleibtreu (u.a. GOETHE!, GEGENGERADE, SOUL KITCHEN), Martina Gedeck, Armin Rohde (UNTER BAUERN – RETTER IN DER NACHT) und Tobias Moretti- sich anscheinend „gern“ mit dem grundsätzlichen Unbehagen zum Thema Drittes Reich ins Scheinwerferlicht bringen…(?)
Joseph Süß Oppenheimer
Ferdinand Marian’s tatsächliche Film-Geschichte ist an der historisch-fiktiven Figur Joseph Süß Oppenheimer’s angelehnt. Sie diente schon damals als Vorlage für den Originalfilm „Jud Süß“.
Nach Willen des Regisseurs Veit Harland soll Oppenheimer im 18. Jahrhundert in einem jüdischen Ghetto gelebt und sich mit „jüdischer Hinterlist“ bis zum engsten Finanzberater des Herzogs Karl Alexander von Württemberg hinauf-intrigiert haben. Als der Herzog starb, wurde Joseph Süß von der Württembergischen Landsmannschaft vor Gericht gestellt. Die Anklage lautete auf Hochverrat und Veruntreuung von Staatsgeldern. Vor allem warf man ihm jedoch vor, Rassenschande betrieben und die Missachtung der protestantischen Religion vollzogen zu haben. 1738 wurde er zum Tode verurteilt und gehängt.
Ferdinand Marian’s späte Reue
Erst als das verbrecherische Naziregime seinen Freund und jüdischen Kollegen Adolf Wilhelm Deutscher ins KZ steckte und Goebbels Marian’s Frau Anna deportieren lässt, um ihn nach Alkoholexzessen und Seitensprüngen wieder unter Kontrolle zu bringen, durchschaut der NS-Superstar die gesellschaftliche Wirkung seines Films.
Nach der Niederlage und Zerschlagung Nazideutschlands musste Ferdinand Marian dann erfahren, wie sich seine am Film beteiligten Schauspielerkollegen einer nach dem anderen versuchen reinzuwaschen: Allen voran Regisseur Veit Harlan. Überhaupt keine cineastische Fiktion, jedoch traurige Wahrheit: Am 9. August 1946 setzt sich Ferdinand Marian in sein Auto und es wird eine Fahrt ohne Wiederkehr…
JUD SÜSS – FILM OHNE GEWISSEN, Filmkritik
Nicht die bittere Wahrheit nur cineastische Fiktion, ist allerdings in Oskar Roehle’s Film der Moment, in dem Marian bei einem Sommerfest in München Adolf Wilhelm Deutscher wieder trifft. Jener hat die Schrecken des KZ wie durch ein Wunder überlebt, berichtet von Annas Tod und klagt mit einem Zitat von Heinrich Heine und in einer tief berührenden Szene Marian an: “ Nicht gedacht soll deiner werden, nicht im Liede, nicht im Buche, dunkler Hund im dunklen Grabe, du verfaulst mit meinem Fluche“.
Sicherlich: Handwerklich ist JUD SÜSS – FILM OHNE GEWISSEN solide gemacht und bis zur Hälfte des Films stellte sich bei mir nicht selten eine Art „Gänsehaut“ ein.
Dazu tragen -wie gesagt- in erster Linie die Protagonisten bei. Moritz Bleibtreu spielt in gewohnter Weise gekonnt und ausdrucksstark – passt meiner Meinung nach aber trotz respektabler Gestik bzw. sprachlicher Annäherung nicht wirklich als Besetzung von Goebbels. Dies mag allerdings daran liegen, dass ich bisher keinen besseren Schauspieler in der Rolle gesehen habe als Ulrich Matthes in Oliver Hirschbiegel’s Film DER UNTERGANG, aus 2004.
Tobias Moretti (DAS FINSTERE TAL) in persona des Ferdinand Marian ist hingegen derart überzeugend, dass sich der unweigerlich folgende Konflikt des Künstlers schnell ins Universelle weitet und die Tragweite fast schon „Mitleid“ erweckt. Historisch korrekt muss noch bemerkt werden: Marian’s Frau war Katholikin und keine Jüdin. Dies fiel wohl ebenfalls der künstlerischen Freiheit zum Opfer.
Zum Ende noch ein Zitat, das Regisseur Oskar Roehler bei einer Pressekonferenz kund tat: „Wir machen Spiel-, nicht Dokumentarfilme. Wir erzählen Emotionen. Das ist unser Beruf. Wenn wir einen Film machen, der JUD SÜSS heißt, ist unser größtes Anliegen, dem Zuschauer nahe zu bringen, welche Wirkung das Original hatte.“ …No comment!
JUD SÜSS – FILM OHNE GEWISSEN, Filminhalt
Vom bitteren Scheitern des Schauspielers Ferdinand Marian, der die Rolle in „Jud Süß“ verkörpert und von der Entstehungsgeschichte des Originals: Es wird geschildert wie Goebbels (Moritz Bleibtreu) persönlich Ferdinand Marian (Tobias Moretti, u.a. SCHWABENKINDER) zwingt, die Hauptrolle des Finanzberaters Joseph Süß Oppenheimer zu übernehmen. Das resultierende Szenario stürzt den Schauspieler in eine starke moralische und berufliche Krise, die sowohl seinen jüdischen Freund (Adolf Wilhelm Deutscher, gespielt von Heribert Sasse) tangiert, als auch seine Frau Anna (Martina Gedeck, u.a. DAS LEBEN DER ANDEREN), die Jüdin ist.
Als Marian’s Versuch scheitert den Verfolgten zu helfen, indem er Oppenheimer besonders menschlich und sympathisch spielt, seine tschechische Geliebte Vlasta (Erika Marozsán) ihm keinen Halt mehr geben kann und er fürchten muss über kurz oder lang ebenfalls für einen Juden gehalten zu werden – zerbricht Marian…
Studio / Verleih / Bild-und Textnachweis: Concorde Verleih, stern.de JUD SÜSS - FILM OHNE GEWISSEN,
Der Spagat zwischen satirischer Überhöhung und psychologisch plausiblem Melodram scheitert und produziert Retro-Kitsch und Klischees – selbst Moritz Bleibtreu erliegt der Versuchung, das Original Goebbels ins Clowneske überdehnt einfach nachzuspielen, statt das Wagnis einer eigenen Interpretation einzugehen.
Iris
Ich glaube viele Kritiker haben den Film nicht wirklich verstanden!!!!!!
Nunja, ich denke, dass der Film nicht wirklich sein musste. Das thema ist geschmacklos.
Hallo,
dieser Film hat wirklich viele schlechte Kritiken bekommen. Wenn ich mir die so durchlese, kann ich nur sagen, dass viele den Film entweder nicht verstanden oder nur zur Hälfte gesehen haben. Klar gibt es einiges an diesem Film zu bemängeln, beispielsweise, dass ein paar (wenige!) historische Fakten verdreht wurden (was in anderen Filmen auch passiert, also soll man sich nicht gleich in die Hosen machen dabei) als auch dass einige Stellen nicht sein mussten (wie zum Beispiel die Beglückung von Frau Frowein von Marien bei einem Bombenangriff in Berlin). Jedoch andrere Szenen, die in den Fokus der Kritik rieten, wie das singen der ersten (verbotenen) Strophe der Nationalhymne, das Vortragen des antisemitistischen Gedichts von Marians Tochter und das zeigen von Filmausschnitten des Filmes „Jud Süß“ finde ich wirklich passend. Denn so war es damals und es zeigt mal richtig, wie weit die Macht und Auswirkungen des Nationalsozialismus (im innenpolitsichen Sinne) reichten. Und es ist super, dass sich mal jemand traut dies den Leuten in einem Film zu zeigen. Was von einigen weiteren Kritikern behauptet wurde, es sei ein lächerlicher Film mit Moritz Bleibtreu (Goebbels) als Witzfigur ist vollkommener Schwachsinn. Bleibtreu hat seine Rolle von allen Leuten in diesem Film am besten aufgeführt. Sein Grinsen zwischendurch, bei ersnten Situationen, seine Art und Weise , seine Gestik mit den Händen: Klasse! So bringt man diesen Propagandaminister richtig rüber, auch wenns vom Aussehen her nicht ganz passt.
Denke jeder was er will, aber dieser Film ist alles andere als eine Komödie. Außerdem sind die Rollen klasse besetzt und die Propaganda kam damit sehr gut rüber. Von den wenigen Stellen und Verdrehungen abgesehen kann man diesen Film als guten Wurf der deutschen Filmgeschichte bezeichnen.
Es stimmt, die meisten kritiker, die den Film zerreißen, haben ihn entweder gar nicht oder nur in Auszügen gesehen. Der Film ist ein Spiel-, kein Dolumentarfilm, er regt sehr zum nachdenken an und macht die perfiden mechanismen des 4. Reiches deutlich. Bleibtreus Göbbels ist teilweise etwas überzeichnet, so als würde Bleibtreu den Göbbels selbst nicht ernst nehmen. Das ist vielleicht eine kleine Schwäche des Films. herausragend ist Tobias Moretti. Sein fecettenreiches, überzeugendes Spiel schon allein ist den Besuch des Films wert. Er zeigt wieder einmal, welch ein großartiger Schauspieler er ist.